Bittprozzession

Lauringer Geschichten

Die Bittprozession nach Thundorf

Viele meiner frühen Jugenderlebnisse sind mit Traditionen fest verankert. Sie geben mir immer wieder Anhaltspunkte, mich an gewisse Begebenheiten zu erinnern. Traditionen, das sind Sitten und Bräuche, aus dem christlichen Glauben heraus entstanden und über Jahrhunderte weiter gegeben. So ist das auch mit dem schönen Brauch der Bittprozessionen.

Der Frühling hat schon lange seinen Einzug gehalten, das Osterfest ist vorbei und Pfingsten steht vor der Tür, draußen in der Natur sprießt, blüht und gedeiht es überall. Das ist die Jahreszeit, in der zu Mittag die Sonne schon recht hoch am Himmel steht, also schon recht gut wärmt. Da machen sich alljährlich, an den drei Tagen vor Christi Himmelfahrt die Leute auf den Weg, um unserem Herrgott für eine gute Ernte zu bitten.

In Stadtlauringen war das seit alters her so. Am Montag am Dienstag, am Mittwoch, – wir Kinder haben dann schulfrei -, zieht man betend und singend über Fluren und Felder, jeweils in eine andere Himmelsrichtung, in ein Nachbardorf. Ich erinnere mich nicht daran, dass wir je nach Norden hinaus gezogen sind, das lag wohl daran, dass in Oberlauringen „nur“ Protestanten wohnten, Gottes Segen für die Andersgläubigen und ihre Felder schien da nicht so dringend notwendig zu sein.

An einem Mittwoch ich glaube es war im Mai 1948 sollte die Bittprozession hinaus nach Thundorf gehen. Doch war der Himmel mit dicken grauen Wolken verhangen und jeden Augenblick drohte ein beginnender Dauerregen unserer Prozession ein jähes Ende zu bereiten. Der Pfarrer Ludwig Schinke, vielleicht auch etwas wasserscheu, war erst gar nicht aus seinem Bett aufgestanden, und schaute erst nach lauten Weckrufen der Gemeinde verträumt aus dem Fenster seines Schlafzimmers. „Heut‘ werd net gwallt, i net“ ruft er seiner Gemeinde entgegen, die zögerlich und unentschlossen hier unten vor dem Pfarrhaus auf ihren Hirten wartet.

Und nun beginnt der Konflikt, die fromme Gemeinde ist hin und her gerissen, was ist zu tun? Wenn sie ihrem Pfarrer gehorcht, muss sie um Gottes Segen für die Früchte des Feldes bangen. Befolgen sie nicht den wohlgemeinten Rat ihres Seelsorgers, handelt sie sich somit seinen Zorn ein. Ein paar Beherzte wagen es dem Pfarrer zu widersprechen und rufen der Gemeinde zu: „Wir machen uns trotzdem auf den Weg“.

Allenfalls können wir ja wieder umkehren, wenn es gar zu schlimm werden sollte Ich erinnere mich noch genau daran, wie der Pfarrer uns zurief: „Macht ihr doch was ihr wollt“, und mit hochrotem Kopf sein Fenster zuwarf. Kaum einer ging wieder nach Hause und so machte sich fast die ganze Gemeinde auf den Weg, voran die Messdiener mit Kreuz und Fahnen, dann die Schulkinder, die Jugend, die Frauen, die Musik und die Männer ganz am Schuss alle zusammen über zweihundert an der Zahl aber ohne Pfarrer also ohne geistlichen Beistand. So wallen wir über die Wiesen und Felder, um durch unser Singen und Beten das Heil und Gottes Segen für die Früchte der Erde zu erflehen.

„Gott Vater, schau auf deine Kinder,….. die um dich her versammelt sind“ …. so lautet ein frommes Lied, nach jedem Satz immer im Wechsel zwischen den Vorbetern einerseits und der Bläserkapelle und der Gemeinde andererseits. Ach ja die Musik eine stattliche Blaskapelle von acht Bläsern mit verschiedenen Blechinstrumenten, aus denen mehr oder weniger präzise Töne entfleuchen, die Leute geben jedenfalls ihr bestes. Das schlechte Wetter hatte sich nach einem nebeligen Nieselregen verzogen und die Sonne zeigte sich am leuchtend blauen Himmel von ihrer schönsten Seite, als wir mit frommem Gesang in Thundorf in die Pfarrkirche einziehen, um dem Herrn zu danken.

Nach dem Gottesdienst bevor man sich wieder auf den Heimweg macht, wird üblicherweise eine ausgedehnte Brotzeit gehalten. Frauen und Kinder setzen sich draußen vor der Kirche ins Gras und packen ihre mitgebrachte Verpflegung aus. Die Männer und vor allem die vom Spielen besonders durstigen Musiker machen das bei einer anständigen Maß Bier im der nahen Wirtshaus.

Und so nahm das Unheil seinen Lauf…… Etwas länger als sonst, vielleicht zwei Stunden hatte die Rast bereits gedauert, nach der normalerweise der Pfarrer zum Aufbruch mahnt. Der aber war ja gar nicht dabei. Und so rufen ein paar Frauen, es sei jetzt an der Zeit, den Nachhauseweg anzutreten. Alles stellt sich wieder in ordentlicher Reihe auf, die Männer kommen etwas missmutig aus dem Gasthaus, und so beginnt der Weg zurück. Doch als das erste Lied angestimmt werden soll da fällt es mit einem mal auf, unsere Musik ist ja gar nicht dabei. Schnell spricht es sich herum, dass die im Wirtshaus geblieben sind weil die Rast doch ein wenig zu lang geworden, und es nicht bei einer Maß geblieben war, um den Kehle zu löschen.

Also muss es auch ohne Musik gehen und ziehen wieder heimwärts. Wie es so der Brauch ist endet die Bittprozession jedes Mal mit einem feierlichen Einzug und einem „Großer Gott wir loben dich“, in der Pfarrkirche. Das war heute gar nicht so feierlich, ja eher ein wenig traurig, weil ja die Musik fehlte und außerdem gab es auch nicht den Schlusssegen des Pfarrers, der sich erst gar nicht blicken ließ.

Damit wäre eigentlich die Geschichte zu Ende, wenn auch die Trompeter mit nach Hause gekommen wären. Die hatten erst viel zu spät ihren Heimweg angetreten und es war mitten in der Nacht als sie wieder eintrafen. Eines aber hatten sie nicht vergessen, denn wie sie dann von der Haintorstraße in die Beckenstraße einbiegen erschallt auf einmal das „Großer Gott wir loben dich“ durch die Nacht, um allen kund zu tun wir sind wieder heil zu Hause angekommen. Kaum einer im Ort der von diesem Lärm nicht geweckt wurde. Am nächsten Morgen ist Christi Himmelfahrt, die ganze Gemeinde versammelt sich in der Kirche zum feierlichen Hochamt. Auch der Pfarrer ist wieder da. Doch der wettert in der Predigt von der Kanzel: Ihr Gotteslästerer, ihr Ungläubigen, geht hin wo der Pfeffer wächst, ich will euch hier in meiner Kirche nie mehr sehen. Wenn er gekonnt hätte, glaube ich, er hätte sie in den Kirchenbann gesetzt. Doch soweit ist es dann doch nicht gekommen. Wäre er mal mitgewallt, so dachte ich damals bei mir, dann hätte es die schlimme Geschichte gar nicht gegeben. Der Pfarrer war es folglich selber schuld.

Nach ein paar Wochen war schließlich Gras über die Sache gewachsen. Aber nicht ohne ein Schmunzeln auf den Lippen erinnern sich einige Alten an diese Geschichte heute noch.

Nachsatz: Inzwischen habe ich erfahren, dass ich meine Geschichte noch etwas korrigieren muss. Einer aus dieser Blaskappelle hat sich nämlich inzwischen dazu geäußert. „Es waren nicht alle Bläser, die im Wirtshaus geblieben sind, sondern nur die Älteren“. Wenn ich meine Geschichten beschreibe, so will ich an dieser Stelle betonen, dass es mir fern liegt, Falsches auszusagen oder gar jemand zu verletzen. Ich habe vielmehr die Situation wiedergegeben, so wie ich sie aus Kinderaugen gesehen und erlebt habe.

Die Bittprozession nach Thundorf heute

Wir schreiben das Jahr 2010

Heute nach über sechsig Jahren wollte ich es nochmals erfahren. War das wirklich so, wie ich es damals erlebt habe? Gibt es die Bittprozession immer noch? Deshalb, habe ich Irmintrud vor einigen Wochen in Stadtlauringen angerufen und sie konnte es mir bestätigen……..die Bittprozession heute

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