Sonntag 18.07.04
von Astorga nach Cacabelos
– Fahrzeit 6,28h – Wegstrecke 75km – Summe 1931km – Temperatur um 18-30°C
In Astorga ist Schluss mit dem flachen Land, das beginnt nun zunächst mit den Hängen der Somosa Berge. Gerade will ich das Albergo verlassen, da sehe ich die norwegische Familie beim Frühstück wieder. Sie hatten auf mein Anraten hin also auch die Herberge gefunden. Astorga liegt auf einem Hügel, ganz gleich in welche Richtung man die Altstadt verlässt, es geht zunächst bergab, erst danach steigt es wieder ganz allmählich, zunächst kaum wahrnehmbar an, heute steht eine größere Bergstrecke bevor. Auf einer Länge von fast 30 km steigt es um 700 Meter bis auf 1530 m, die höchste Stelle des spanischen Camino. Aber ich bin gut vorbereitet und werde auch diesen Berg bezwingen.
Castrillo de los Polvazares heißt das schmucke Örtchen etwas abseits vom Pilgerweg. Gewiss lohnt sich der kleine Umweg durch das Dorf, Es wurde buchstäblich aus der Asche (Polva) wiedergeboren und unter den besonderen Schutz der UNESCO als Weltkulturerbe gestellt. Allerdings, so scheint mir, wohnen hier nur noch Künstler und die „Reichen Schönen“ Die gepflasterte Straße durch den Ort zeigt besonders anschaulich, wie der Weg früher mal ausgesehen haben mag. Die soliden Steinhäuser geben Zeugnis von einem gewissen Reichtum aus vergangener Zeit. Hinter Castrillo beginnt die eigentliche Steigungsstrecke. Hier zeigt es sich ob man noch Kraftreserven hat oder ob man absteigen und mühselig weiter schieben muss. Ein Radfahrer der absteigt ist langsamer als ein Pilger zu Fuß. Da begegne ich einem dunkelbraun gebrannten Wanderer, zu Fuß keucht er den Berg hinan, und weil ich ihn schon von weitem wieder erkenne, halte ich bei ihm an und beginne ein Gespräch. Er ist Inder, ….alleine unterwegs? „Ja das heißt nein“, gibt er mir zur Antwort und erklärt mir, irgend wo sei seine Frau auch auf dem camino unterwegs, hinter oder vor ihm, das wisse er gar nicht so genau. Jedenfalls mache jeder seinen Weg, und man wolle sich nachher in Santiago treffen. Eine ganz neue Variante, so macht jeder von beiden unabhängig vom andern seine ganz persönliche Erfahrung.
Bei El Ganso beobachte ich Störche, die vom nahen Kirchturm auf die abgeernteten Felder fliegen auf der Suche nach Futter für ihre Brut, die da oben ungeduldig wartet. Nun kommt der Kraftakt, bei dem man alle Register mobilisieren muss. In Rabanal fülle ich bei der Herberge nochmals meine Wasserflasche nach, damit ich unterwegs nicht verdurste. Und da sehe ich von weitem, wie Luis sich so langsam den Berg hochwindet. Groß war die Wiedersehensfreude und wir beschließen ein Stück gemeinsam fortzusetzen. Ein Pärchen mit ihren MTBs zieht in gehörigem Tempo an uns vorbei, zwischen ihren Rädern ist ein Seil gespannt, der Mann hilft seiner Frau beim Aufstieg. So ist die überschüssige Energie ausgeglichen. Foncebadon, jetzt folgt das wirklich steilste Stück der heutigen Etappe, vielleicht 13 % auf den letzten drei Kilometern bis hinauf zum Cruz de Hiero.
Endlich angekommen, der höchste Punkt des camino ist erklommen. Vor uns das Eiserne Kreuz auf einen geschälten Baumstamm gepflanzt, der die Spitze eines hohen Steinhaufens krönt. Seit mehr als tausend Jahren legen hier die Pilger ihren von daheim mitgebrachten Stein ab und es ist belegt, dass es hier sogar Steine aus vorchristlicher Zeit gib. Natürlich halte auch ich fest an dieser Tradition, und habe meinen Stein mitgebracht, gleichsam symbolisch kannst du hier deine Lebenslast abladen. Und danach fühlst du dich wie befreit. „Wer unschuldig ist, der werfe den ersten Stein“ heißt es im Neuen Testament, ich werde der Sache nachgehen, vielleicht finde ich einen Zusammenhang zwischen jenen Steinen aus der Bibel und diesen auf dem Hügel. Bei dem Eisenkreuz machen wir Mittagspause. Ich koche für Luis und mich eine Suppe aus meinem Vorrat.
Nun folgen noch ein paar Abs und Aufs, nicht mehr ganz so anstrengend, bis schließlich die mehr als 20 km lange Abfahrt vor uns liegt. Tief unten im Tal dampft das Kraftwerk von Ponferrada (Eisenbrücke). Den Lohn für den mühevollen Aufstieg bekommen wir jetzt mit einer herrlichen Rundumsicht die heute ganz besonders gut ist. Auch dieser Berg war diesmal nicht so anstrengend, wie im vergangen Jahr. Doch wird es morgen nochmals eine ganz ähnliche Situation geben. In rasanter Fahrt geht es hinab ins Tal, erst durch Acebo noch hoch oben und dann nach Molinasecca schon wieder tief unten im Tal gelangen, wo wir uns, der trockenen Kehlen wegen, in einem Biergarten niederlassen und ganz gegen die Gewohnheit ein kühles Cervezza trinken. Es ist ja nicht mehr all zu weit bis zum Ende der Tagesetappe, auch wenn wir erst hinter Ponferrada Halt machen. Kaum haben wir uns hingesetzt, da taucht mit ihrem MTB in einer Staubwolke Corine auf, die just denselben Gedanken hatte und sich auf ein Bier zu uns setzt. Von Katsu und Jasuko muss ich noch berichten. Ich glaube es war beim Cruz, da sind wir den beiden zum ersten Mal begegnet. Sie kommen aus Japan und verstehen den Pilgerweg als Teil ihrer Europareise. Er ist Fahrradmechaniker und sie darstellende Künstlerin, ein sehr nützliches Gespann die beiden, während er die Räder reparieren muss und das geschieht recht oft, hat sie genug Zeit für ihre Skizzen, die sie später in Tusche-Federzeichnungen umsetzt eine alte japanische Kunst. Die Herberge von Ponferrada liegt gleich am Stadteingang und obwohl wir da nicht bleiben wollen halten wir an, weil es für jeden Ankömmling einen frisch gepressten Orangensaft gibt. Den bekommen wir auch und nach einem Stempel für unseren Credancial ziehen wir weiter durch den Ort, vor der alten Templerburg rechts ab und dann immer den gelben Pfeilen folgend.
Der Pilgerweg ist hier tatsächlich sehr gut ausgeschildert es gibt kein Vertun mehr, und wir erreichen am frühen Abend Cacabelos. Die Herberge ist hier rund um eine Kirche errichtet eine saubere, neue Holzkonstruktion mit lauter Zweibettkojen aneinandergereiht. Wenig später treffen auch Jasuko und Katsu das japanische Pärchen hier ein.
Am Abend sitzen wir beieinander während Yasuko uns ihr Skizzenbuch nicht ohne stolz präsentiert. Ich kann ihre Freude vom Gesicht ablesen, als wir ihre unterwegs gezeichneten Skizzen wieder erkennen. Die Zeilen, die ich hier niederschreibe, sind ja bereits Geschichte, denn vor einigen Tagen erhielt ich eine Postkarte von ihr, ein Original Santiago, von ihr selbst gemalt mit Grüßen, dass sie bereits in Lissabon angekommen sind. Weiter erfahre ich von ihnen über eine E-Mail-Nachricht sie sind nun in Sevilla, wo ihnen leider eines ihrer Räder gestohlen wurde. Sie wollen nun weiter nach Marokko. Bestimmt werde ich noch von den beiden hören, denn sie haben mir versprochen sich bald wieder zu melden. Luis und ich beschließen den Abend mit einem kleinen Spaziergang durch Cacabelos und lassen uns draußen an einer kleine Bar nieder, um noch ein, zwei Schoppen Wein zu trinken.