Freitag 16.07.04 von Carrion de los Condes nach Hospital de Orbigo
– Fahrzeit 8,13h – Wegstrecke 128km – Summe 1839km – Temperatur 16 – 39°C
Eine lange Etappe war das diesmal, ich war schon früh um fünf Uhr auf, konnte aber zunächst nicht abfahren, weil ich überhört hatte, dass das Tor zum Abstellplatz der Räder erst um sieben geöffnet wird. Deshalb sitze ich im Foyer und halte noch einen Dämmerschlaf, bis ich Punkt sieben endlich abfahren kann. Diesmal bin ich wieder auf dem camino; und überhole die Leute, die ich in der Herberge getroffen habe. In etwas mehr als einer Stunde sind aber bereits alle eingeholt und nun folgt eine große Lücke.
Ich fahre auf einem ebenen aber recht steinigen Feldweg bis zum Dorf Calzadilla de la Cueza. Rechts von mir, im Norden kann ich in der Ferne die Picos de Europa erkennen. Die haben schon in alter Zeit die Seefahrer so genannt, weil diese Berge, – über 2000 Meter hoch, – als Erstes zu erkennen waren, wenn sie, von Westen kommend, sich dem Kontinent näherten. Nach einer Weile setzt der Pilgerstrom wieder ein, das sind die letzten von der nächsten Herberge. Dieser Tag führt durch die Meseta, eine sehr einsame, trockene, abgeerntete und baumlose Kulturlandschaft. Es ist die von allen Pilgern so gefürchtete Hochebene zwischen Burgos und Astorga, sie liegt auf etwa 800 Metern Höhe, nach Norden hin ist sie abgegrenzt von den Cordillera Cantabrica und nach Süden vom Kastilischen Scheidegebirge und es ist hier sehr oft ganz unerträglich heiß. Entlang dem Camino habe ich hier statt auf der N120 vielleicht ein paar Kilometer abgekürzt, dafür war es aber beschwerlicher und zeitlich länger. So ereiche ich noch am Morgen die Stadt Sahagun, eine alte römische Siedlung mit vielen baulichen Kunstschätzen.
Dieser Tag heute ist bisher der trostloseste von allen, eintönig und ohne jede Abwechslung, noch dazu ist es sehr, sehr heiß, so richtig, um in sich zu gehen, um sich über Sinn und Ziel des eigenen Lebens Gedanken zu machen. Ich muss sehen, dass ich so schnell wie möglich aus dieser Einsamkeit wieder herauskomme. Mittagspause mache ich an einem Bewässerungskanal ohne Schatten aber dafür kann ich zur Erfrischung wenigstens meine Füße in das kühle Wasser tauchen. Wenig später mache ich nochmals Pause im Schatten hinter einer der Strohrollen, die überall auf den Feldern stehen. An einer Straßenkreuzung gönne mir in einer Bar eine Cola und treffe da erneut Luis aus der Steiermark. Den habe ich in Saint Jean Pied de Port zum ersten Mal gesehen. Ein Wegstück fahren wir gemeinsam, dann trennen wir uns jedoch wieder, weil ich südlich um Leon herum fahren will. Es hilft alles nichts, ich muss weiter und durchfahre eine Gegend wie im Flug, hier weiß man vom camino nichts mehr und der ist höchstens 30 km entfernt. Ich fühle mich wie auf einem Irrweg und wollte nur ein Stück abkürzen. Recht müde aber froh, diese Wegstrecke geschafft zu haben, erreiche ich Hospital de Orbigo. Bevor ich in den Ort hineinfahre muss ich über eine lange, holprige Steinbrücke mit etwa einem dutzend Bögen, die den Fluss Orbigo überspannen.
Überhaupt ist für mich so eine Brücke immer wieder faszinierend, einmal die Konstruktion des Bauwerks an sich, zum andern aber ihr symbolischer Charakter, als Zeichen der Verbindung und des Frieden zwischen den Menschen.
Glück gehabt, denn kaum in der Herberge angekommen, beginnt ein Unwetter mit Blitz und Donner. In den Refugios gibt es immer Hinweise, wo man gut und preiswert essen kann. Dahin mache ich mich auf, und hangele mich von einem Dachvorsprung zum andern um wenigstens ein bisschen vor dem Regen geschützt zu sein. Aber erfrischend ist es doch nach der großen Hitze des Tages. In dem Gasthaus sind Tische und Bänke aufgestellt, eben ein echtes Pilgerlokal. Noch suche ich nach einem Platz, da winkt mir eine Frau zu, ich solle mich doch zu ihnen setzen. Es ist eine Familie aus Norwegen, Vater, Mutter und zwei Töchter, die gemeinsam ein Stück camino zu Fuß erleben wollen. Sie sagt mir, dass sie Georgine heißt, die Namen des Vaters und der Kinder habe ich leider vergessen. Sie erzählen ganz begeistert, was sie bisher gesehen und erlebt haben.
Aber schließlich fragen sie mich auch, wie es mir auf dem Weg ergangen ist, und sie kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus, als ich ihnen berichte, wie lange ich schon unterwegs bin und wieviele Kilometer ich schon hinter mir habe. Als ich gerade vom Essen in die Herberge zurück komme, sitzt da eine junge Frau aus Nantes, die sich gerade eine Zigarette anzünden will. Sie gibt mir ein Zeichen, ob ich auch eine möchte. Warum eigentlich nicht! Und so sitzen wir schließlich noch bis spät in die Nacht hinein im romantischen Hof der Herberge und wir erzählen uns gegenseitig von der Mühsal des heutigen so heißen Tages.