Montag 05.07.04
von Aulnay en Saintonge nach Pons
– Fahrzeit 5,5 h – Wegstrecke 72km – Summe 939km – Temperatur 20-30°C
Sehr trübe sieht es heute Morgen aus. Als ich aufwache und zum Zelt hinaus schaue segeln mir dicke schwarze Wolken entgegen. Ich tröste mich selbst ein wenig, denn der Atlantik ist ja nur knapp 55 km entfernt, da kann das Wetter sich recht schnell ändern. Und richtig nach dem Frühstück sind schon ein paar blaue Flecken zu sehen. Es weht eine leichte Brise bei 26°C. Abfahrt um 7:15 Uhr, wenn man morgens früh aufsteht, schafft man am Vormittag schon ein gutes Stück. So sehe ich nach vielen Hügeln bergauf, bergab schon bald in der Ferne das mächtige, barocke Türmepaar von Saint Jean d’AngelyEin Novum, hier begegne ich endlich den ersten Pilgern, einem Paar aus der Schweiz, das schon wieder auf dem Heimweg ist, und einem Franzosen, der einen etwas störrischen Esel hinter sich herzieht. Mit seinem voll bepackten Lasttier will er in 60 Tagen am Ziel ankommen. Die beiden gewaltigen Kirchtürme entpuppen sich als „potemkinsches Dorf“, es ist die Ruine eines Klosters, von dem nur noch das Westwerk übrig geblieben ist. Die heutige Pfarrkirche befindet sich unmittelbar im Anschluss an die Ruine.
Es geht weiter nach Saintes, dabei durchfahre ich kleine Dörfer, die Häusern sind akkurat gepflegte und immer ein Gemüsegarten gleich dabei. Es scheint, als wären die Orte verlassen so still und verträumt liegen sie da. Man könnte meinen, man sei in die mittelalterliche Pilgerzeit zurück versetzt. Die Stadt Saintes (= die Heiligen) ist ein kleiner Ort von 25 000 Einwohnern aber eine wichtige Etappe auf dem Pilgerweg.
Sie ist römischen Ursprungs und birgt nicht weniger als 16 Kirchen. Neben der Kathedrale ist Saint Eutrope ganz besonders einen Besuch wert. An einem Hang gelegen, gelangt man seitlich in eine große romanische Krypta, während oberhalb der Haupeingang zum Gotteshaus liegt. Weil ich bis zwei Uhr die Öffnung des Presbyteriums abwarten will, um einen Stempel für mein Credencial zu bekommen, bereite ich mir vor den Stufen der Kirche mein Mittagessen.
Mein Tagesziel wird heute also Pons sein, bis dahin habe ich noch 22 km, das ist trotz reichlicher Hügel bergauf und immer noch heftigem Gegenwind gut zu schaffen. In meinem französischen Pilgerbuch kann ich nachlesen, dass es dort eine Pilgerherberge, also vielleicht auch ein Bett für mich gibt. Doch es kommt alles ganz anders. In der Stadt angekommen, während ich gerade auf einem Verteilerkreis das Foto einer Bronze-Pilgergruppe machen will, lerne ich Chrys und Rosy kennen. Sie sind Engländer und mit ihrem Caravan unterwegs. Wir kommen ins Gespräch und als sie erfahren, dass ich auf dem Weg nach Santiago bin sind sie ganz erstaund, dass ich allein und soweit unterwegs bin.
Ich erzähle ihnen in bisschen vom meiner Reise, was ich bisher gesehen und erlebt habe. Das fasziniert sie offensichtlich so sehr, dass sie noch mehr von mir erfahren wollen und mich spontan zum Abendessen einladen, um das Gespräch vertiefen zu können. Da sage ich nicht nein und nehme das Angebot gerne an. Es gab Hühnchen, Salat, Brot und Wein, … und es waren mehr als eine Flasche die wir beim erzählen zusammen getrunken haben, es stellt sich heraus, dass wir in vielen Orten die gleichen Sehenswürdigkeiten gesehen, ja sogar die feinen Nuancen erkannt hatten, das verbindet uns. Als ich dann auch noch alle meine bisher gemachten Fotos auf den Laptop der beiden laden kann, ist die Begeisterung komplett; bis halb drei in der Früh haben wir beim Betrachten der Fotos uns gegenseitig unsere gemeinsamen Erlebnisse erzählt. Eine besondere Sehenswürdigkeit in Pons muß ich allerdings noch erwähnen, es ist La Voute de L’Hopital: Das ist eine Armen-, Kranken- und Pilgerstation, und existtiert bereits seit 1160. ein schöner Zweckbau in hellem Sandstein, der gerade kurz vor der Vollendung seiner Restaurierung steht. Wann ich morgen aufstehen und weiterfahren werde, weiß ich noch nicht. Ich werde es dem Zufall überlassen, wann ich aufwache. Es wird ohnehin keine Gewalttour sein, denn es ist nicht mehr weit bis zur Gironde und ich weiß, es geht nun fast nur noch bergab in die Tiefebene. Den Rest der Nacht habe ich also bei den beiden im Vorzelt verbracht und ich muss sagen ich habe recht gut geschlafen. Im Nachhinein stelle ich fest, dieses glückliche Zusammentreffen mit Chrys und Rosi war für mich eine der schönsten und herzlichsten Begegnungen auf der ganzen Pilgerreise, und ich wünsche mir, die beiden einmal wieder zusehen.