Samstag 12.07.2003
von Pamplona über Eunate nach Los Arcos (noch 764 km bis Santiago,
Nach einer einigermaßen ausgeruhten Nacht stehe ich um sechs Uhr auf und packe meine sieben Sachen. Leider ist mir bei der Hitze meine mitgebrachte letzte Essensration schlecht geworden und so entscheide ich mich für das Peregrino Frühstück für zwei Euro fünfzig zusammen mit den anderen in dem benachbarten Lokal vom Vorabend. Um halb acht heißt es dann aufsitzen; die Pilgerreise geht weiter. Heute steht ein mittlerer Pass vor uns, der Alto de Perdon (Höhe der Vergebung nur 780m hoch). Es geht stetig ansteigend 350 Meter höher, zunächst eher ganz allmählich in lang gezogenen Kurven. Fals platt nennen das die Holländer, erfahre ich von Hans, was soviel wie eine kaum merkliche, lang gezogene Steigungsstrecke bedeutet. Solche Berge sind besonders tückisch, weil sie viel Kraft und Ausdauer abverlangen. Die Vegetation ändert sich nun zusehends. Das saftige grün der Pyrenäen ist längst verschwunden, es zeigt sich jetzt eine eher schroffe unwirtlich kahle Kulturlandschaft mit weiten abgeernteten Kornfeldern und wenig grün. Valentin und Hans haben den Alto schon erreicht und als Marcel und ich oben ankommen, sind die beiden schon nicht mehr zu sehen. Auf der Passhöhe vereinbare ich mit Marcel, dass wir uns vielleicht später wieder Treffen, weil ich vorhabe einen Abstecher nach Eunate zu machen. Bald danach zweigt von der Nationalstraße dann auch eine schmale Straße links ab und ich erreiche nach ein paar Irrwegen vorbei an Uterga und Muruzabal über einen Feldweg die Einsiedelei Eremita de Eunate.
Für mich ist diese Kapelle ein erstes Highlight auf meiner Pilgerfahrt, denn ich finde alles so vor, wie ich es zu Hause schon gelesen und in Gedanken vorgestellt habe. Ich erkenne das kleine Kirchlein schon von weitem in der sanften Talsenke und bin überwältigt vor lauter Erwartung und Freude, endlich einmal diese Stelle erreicht zu haben.
Eremita Santa Maria de Eunate liegt in einem weiten Tal etwas abseits mitten in den Feldern. Eine romanische Kapelle im Grundriss ein Oktogon mit einem gleichfalls achteckigen Säulenumgang in einer Mauereinfriedung. Ich vermute, der Umgang war in früherer Zeit einmal mit einem Dach ausgestattet, damit die Pilger darunter Schatten in der Tageshitze und Schutz als Schlafplatz in der Nacht fanden. Man sagt, die Ritter des Templerordens haben diese Kapelle der Grabeskirche in Jerusalem nachgebildet, doch ist ihr Ursprung und ihre Bedeutung unsicher. Auch wurden auf dem Feld rundum zahlreiche Gebeine gefunden, was auf eine Begräbnisstätte hindeutet. Das Gotteshaus ist außen ist reich verziert mit steinernem Maßwerk. Der müde Pilger fühlt sich im Schutz dieser alten Kirche, weitab von jeder weiteren Behausung aufs Äußerste geborgen. Beim Eintreten bin ich überwältigt von der Schlichtheit im Inneren. Der einzige Schmuck ist eine wunderschöne alte Gottesmutterstatue auf dem Altar. Ihr Beiname La Senora de las cien puertas (die Herrin der hundert Tore) Spontan vor lauter Freude und Überwältigung singe ich ein Salve Regina, das klingt phantastisch in der kleinen Kirche mit der hohen gerippten Kuppel. Und da habe ich nun die Vision: alles wird zu einem guten Ende kommen, ich werde mein Ziel bestimmt erreichen, ja glücklich und gesund wieder nach Hause gelangen.
Ganz impulsiv fange ich plötzlich an zu beten, nicht aus einer Not heraus sondern vielmehr aus Dankbarkeit, dass ich nun endlich auf dem Weg bin. Wie schon oft in meinem Leben mache ich mir bewusst: Die wirklich wichtigen Entscheidungen habe ich meist ganz alleine getroffen. Oftmals schon stand ich alleine am Scheideweg und musste mich für links oder rechts entscheiden. Dieser Gedanke kam mir immer wieder auf meiner ganzen Reise in den Sinn.
Überglücklich nach solchem Erlebnis setze ich meinen Weg fort und gelange bald darauf nach Puente la Reina, eine kleine mittelalterliche Stadt mit zwei Kuppelkirchen am Anfang ein Kloster und mitten in der Stadt die Pfarrkirche. Hier vereinigen sich zwei Pilgerwege; meiner von Roncesvalles und ein weiterer der von Somportpass. Der gemeinsame Weg heißt ab hier camino françes. Auf dem gemütlichen Markt herrscht gerade ein buntes Treiben, es ist heute Markttag. Man verlässt das Städtchen und überquert den Fluss Arga auf einer stattlichen, mittelalterlichen, Bogenbrücke.
Mein Thermometer zeigt 40° und es geht auf der alten Nationalstraße steil bergauf, in lang gezogenen Windungen immer weiter immer höher. Doch irgendwann fällt es auch mal wieder ab und der Fahrtwind bringt etwas Kühlung. Immer noch alleine, halte ich an und mache im Schatten einer Baumgruppe eine kleine Verschnaufpause. Bis zu fünf Liter Wasser trinke ich am Tag, das ist wichtiger als Essen. Während ich da so sitze, – zwei Radrennfahrer sind bereits an mir vorbei, – erkenne ich schon von weitem meinen belgisch-holländischen Peleton. Sie hatten ein anderes Kloster besucht und ich war nun vorne ohne es zu wissen. Eigentlich hatte ich ein Wiedersehen mit den dreien bereits abgeschrieben und nicht mehr daran geglaubt, sie uns noch ein Mal begegnen.
Nach der Rast ziehen wir gemeinsam weiter. Zunächst erreichen wir Estella eine lebhafte, quirligen Stadt unten im Tal des Rio Ega. Der Ort hat zu Recht den schönen Beinamen La Bella, gewiss nicht nur, weil es sich reimt. Die Kaffeepause im Schatten ist verdient, die Hitze am frühen Nachmittag ist kaum mehr auszuhalten. Der Wirt füllt uns bereitwillig einem nach dem andern unsere Trinkflaschen mit eisgekühltem Wasser aus seinem Kühlsystem, das wird uns unterwegs gut tun. In einem Fahrradladen kaufe ich mir ein neues Unterteil für meinen Tacho, mein Funk gesteuertes ist defekt, und ich möchte doch gerne selbst wissen, wie viele Kilometer ich schon gefahren bin und wie viele noch zu fahren sind. Am Abend in der Herberge werde ich das ganze dann montieren. Heute gibt es noch etwas Besonderes zu berichten. Man verlässt die Stadt wie immer in Richtung Westen und gelangt mit etwas Geduld nach einigem Durchfragen und Suchen schließlich doch zum Monasterio de Irache, (ir = gehen, oder ira = Zorn ? muss ich noch herausfinden) das liegt links der Nationalstraße direkt am Camino.
Da findet man endlich die fuente de vino, ja richtig, eine Weinquelle, an der sich jeder Pilger laben kann. Weil es nur noch 20 km bis zum Tagesziel sind, schütte ich also meinen gerade erstandenen tiefgekühlten1,5 Liter Wasservorrat wieder aus, der ohnehin stark nach Chlor schmeckt und tausche den schnöden Trunk gegen den gratis angebotenen köstlichen Wein, nippe nur einmal kurz, er ist noch sehr jung, schmeckt aber herrlich frisch und fruchtig. „Nur ein winziges Schlöckchen“ heißt es ja in der Feuerzangenbowle damit der Alkohol bei der Hitze nicht zu Kopfe steigt, werde ich mir den frischen Trunk bis zum Abend aufheben. Kurze Zeit später erreichen wir auch nach leichter Fahrt das nächste Ziel unserer Tagesetappe Los Arcos und finden eine gut gepflegte Herberge vor, die zurzeit von einem flämischen Ehepaar geführt wird. Wir werden besonders herzlich von ihnen willkommen geheißen. Nun gilt es wieder: Bett herrichten, Waschen, Umziehen, Wäsche waschen, das alles ist nun schon gute Gewohnheit geworden. Später waren wir noch zur Abendmesse mit Pilgersegen, weil morgen ja Sonntag ist und anschließend zum Abendessen im Restaurant in Begleitung des Herbergsvaters. Nachher sitzen wir noch mit den Herbergseltern und einigen Pilgern zusammen draußen im Hof der Herberge und plaudern beim kühlen mitgebrachten Wein. Con pan, (agua) e vino se hace el camino (Mit Brot [Wasser] und Wein schafft man den Pilgerweg) das agua habe ich dem Sprichwort noch beigefügt, weil es mir als das Wichtigste von allem erscheint
zum 5. Tag