Dienstag 09. August 05
– San Vincenzo – Piombino – Follonica – Grosseto – Fonteblanda
Fahrzeit 7:56 h – Tages-km 119 – Gesamt-km 1717 – Temperatur 18-38°C
– erkletterte Höhenmeter 5699 m
Das war eine angenehme, ruhige Nacht in dem hohen Pinienhain, nicht zu kalt und nicht zu warm. Kurz nach acht bin ich auf dem Weg nach Piombino. Es ist zwar ein kleiner Umweg, aber ich will mir dort ja einen neuen Tacho kaufen. Während ich über kleine Hügel auf und ab radle, denke ich unterwegs noch manchmal an die Jugendgruppe aus Rosenheim. Schade, ich wäre gerne noch ein Stück mit ihnen weiter gefahren, und sie unterwegs irgendwo noch zu treffen, das erscheint mir eher unwahrscheinlich.
Piombino ist eine kleine Hafenstadt mit regem Fährbetrieb, große Schiffe liegen hier im Hafen mit Kurs auf Elba, Sardinien oder Korsika. In einem ersten Fahrradgeschäft entspricht der Tacho nicht meiner Vorstellung, ein weiterer Laden hat heute Ruhetag, und ein Drittes macht gerade seine Jahresferien. Der Umweg war also vergebens und ich muss weiter nach Follonica, wo ich endlich fündig werde.
Von hier ab weicht mein Weg wieder etwas vom Meer ab und ich muss einen kleinen Pass hochklettern, fast schon oben angekommen kurz vor einem Tunnel finde ich hoch über dem Meer ein schattiges Plätzchen mit einer herrlichen Aussicht gerade gut genug für eine kleine Pause. Nach dem Berg folgt immer wieder eine Talfahrt, die in der Mittagshitze etwas Kühlung bringt. Nun wieder dicht am Meer, fahre ich durch eine schnurgerade Pinienallee, die Zikaden zirpen unaufhörlich ihr eintöniges Lied. Bis Grosetto ist es nicht mehr all zu weit, dort lege ich eine kleine Besichtigungs- und Einkaufspause ein. Grosetto ist ein nettes, altes Städtchen mit historischem Zentrum umgeben von einer starken Ringmauer.
Und nun ganz sonderbare Begebenheit.
Es ist bereits achtzehn Uhr, als ich Grossetto wieder verlasse, um noch ein Stück durch den angenehm, kühlen Abend zu fahren. Da zögere ich einen Augenblick, steige ab, und schaue auf meiner Karte nach. Offensichtlich habe ich mal wieder ganz unbewusst eine Autobahnauffahrt gefunden. Da kommt just in diesem Moment ein etwas älterer Mann auf einem noch älteren Rad des Weges daher, hält an und fragt mich wohin ich wolle. „Andare a Roma“ erwidere ich ihm. „Dann bist du hier richtig, fahr nur einfach hinter mir her“. Mit einem sehr unguten Gefühl fahre ich nach einigem Zögern hinter ihm her auf die sehr belebte Schnellstraße. Sie hat nicht einmal einen Seitenstreifen und der Verkehr rast unaufhörlich mit großer Geschwindigkeit an uns vorbei. Einziger Vorteil man wird vom starken Sog förmlich mitgezogen und kommt leicht auf 25 bis 30 km/h. Der Verkehrslärm macht eine Verständigung unmöglich und erst nach einigen Kilometern machen wir Halt an einer Raststätte. Hier kommt es dann zu einem ersten erklärenden Gespräch. Er fragt nach meinem Namen und sagt mir, „Ich bin Ronando. Es ist uns Radfahrern erlaubt, hier zu fahren, denn es gibt eine Ausnahmereglung für diese Straße zwischen Grosetto und Rom, weil es sonst keine vernünftige Möglichkeit für Radfahrer gibt. Du kannst es mir ruhig glauben, ich fahre diese Strecke Rom – Grosetto jede Woche zwei Mal“. Übrigens spricht Ronando außer italienisch nahezu akzentfrei deutsch, aber auch noch französisch und englisch. So kommt es gelegentlich vor, dass er in einem einzigen Satz gleich noch drei Mal die Sprache wechselt. Spontan erinnert mich diese Situation an eine phantastische Szene aus Umberto Ecco’s „Der Namen der Rose“. Ronando gibt mir Aufklärungsunterricht, wie ich mich auf einer solchen Straße zu verhalten habe: „Da ist zunächst einmal die Ausrüstung“, schaut flüchtig auf mein Rad und meint: „Es ist ja ganz in Ordnung. Aber was du dir unbedingt besorgen musst ist ein Rückspiegel“ und deutet auf seinen, „Damit du mit den Leuten kommunizieren kannst.“ Er erklärt mir verschiedene Handzeichen, um mit den Vorbeifahrenden sprechen. Wie beispielsweise besonders die Lastwagen mehr Abstand halten sollen, wie man deutlich anzeigt, wenn man an einer Ausfahrt geradeaus weiter will, oder auch wie man seine Zufriedenheit anderen Verkehrsteilnehmern gegenüber kund tut. Die Antwort kommt spontan durch unterschiedliches Hupen. So werden die Leute aufmerksamer, vorsichtiger ja freundlicher. Aber das Wichtigste, so sagt er mir, ist der Defensivschutz. Man braucht unbedingt einen Helm und zusätzliche Reflektionseinrichtungen, wobei er an seinem Rad nicht ohne Stolz auf Teile eines kaputten Warndreiecks zeigt, zwei Streben hinten, der Rest vorne. Bis auf den Rückspiegel bin ich zumindest genauso gut ausgerüstet wie er. Ich zeige ihm meine beiden blinkenden Zusatzleuchten hinten auf den Packtaschen und ziehe eilig meine Verkehrsschutzweste über. Zum Dank für diese gute Auskunft kannst du, wenn du willst, mir jetzt ein Eis spendieren. Während wir genüsslich die kleine Erfrischung verspeisen fragt er mich noch „Warum nach Rom, warum nicht zu mir zum Monte Argentario, das ist eine herrliche Halbinsel, dort habe ich ein Anwesen in freier Natur, du kannst da bleiben, solange du willst. Er merkt jedoch recht bald, dass ich zögere und er mich nicht dazu überreden kann, hier meine Pilgerreise so abrupt zu beenden. Wir fahren gemeinsam noch ein gutes Stück weiter, bergauf geht es nun nicht mehr ganz so schnell, denn seine Kette ist verschlissen und rutscht schon über die Zahnkränze. Außerdem wagt er es nicht zu schalten, aus Furcht die Kette könne sich verheddern und reißen. Es ist schon fast dunkel, als er mir am Abend, so sagt er mir, den schönsten Strand Italiens zeigt. Hier könne ich gleich am Meer in einem Erste-Hilfe-Zelt die Nacht verbringen. Dieses Angebot einer Gratis-Unterkunft nehme ich gerne an. Er stellt mir den Standwächter Ubaldo vor: „Der passt auf dich auf, also keine Angst, wenn er hin und wieder vorbeischaut, um nach dem Rechten zu sehen“.
Zum Schluss bekomme ich aber doch noch eine Auflage, dass ich am nächsten Morgen um halb sieben ganz bestimmt das Zelt und den Strand verlassen soll, damit der Wächter beim Wechsel keine Schwierigkeiten bekommt und das verspreche ich ihm. Nachher, Ronando ist schon lange gegangen, während ich mir mein Essen bereite, erfahre ich von Ubaldo: „Ronando e un professore famoso, molto importante….. Ronando ist ein ganz berühmter, sehr wichtiger Professor der Medizin, auf dem Gebiet der Naturheilkunde, jeder kennt, ehrt und achtet ihn hier in der Gegend“. Daher weht also der Wind, schon wegen seiner vielseitigen Sprachkenntnisse hatte ich den Gedanken schon längst verdrängt, er sei nur ein fahrender Landstreicher. Im Nachhinein denke ich bei mir, wahrscheinlich hätte ich ihn glücklich gemacht, wenn ich ihm die Schutzweste geschenkt hätte. Leider habe ich weder Foto noch Adresse des „Professore“. Aber ich bin sicher, würde ich mich auf den Weg machen, ihn zu suchen, ich würde ihn sicher bald finden, und ihm dann nicht nur ein Eis spendieren, sondern auch meine Weste schenken.
Das leise Rauschen des nahen Meeres versetzte mich recht bald in einen tiefen Schlaf, aus dem ich nur noch einmal geweckt wurde. Ubaldo kommt mit einem jungen Marokkaner zu mir ins Zelt. Keine Angst, bedeutet er mir, der schläft hier jede Nacht, weil er sonst kein Bett hat.