Sonntag 11.07.04
von Saint Jean Pied de Port nach Puente la Reina
– Fahrzeit 7,85h – Wegstrecke 105km – Summe 1405km – Temperatur 14 – 30°C
Nichts hält mich mehr, um halb sechs muss ich einfach raus aus den Federn, der Berg ruft, die große Herausforderung steht bevor, die mich im vergangenen Jahr hart an die Grenze meiner Möglichkeiten brachte. Ich bin sehr darauf gespannt, wie ich es diemal schaffen werde. Um Sechs Kaffeetrinken, kurz vor sieben fahre ich gemächlich hinunter zur Nive. Nun verlasse ich die Stadt durch die Porte Notre Dame und überquere das Flüsschen über den Vieux Pont Heute fährt es sich viel leichter, weil ich den Weg bereits kenne, ich weiß ja, was da bevor steht. Die Sonne schiebt die weiß grauen Schleierwolken vor sich her, so dass sie da scheint, wo ich gerade bin, während der Gipfel noch in Nebel gehüllt ist. In etwas mehr als drei Stunden habe ich die „läppischen“ 900 Höhemeter bis zum Puerto de Ibaneta 1057 m über NN überwunden.
Meine Erwartung haben sich bestätigt, das Training durch ganz Frankreich hat meine Konstitution gestärkt und ich bin stolz, da oben nahezu ohne Schwierigkeiten angekommen zu sein. Jetzt sitze ich am Denkmal in Erinnerung an die Schlacht im Jahr 778 bei der Roland, Neffe und Vasall Karls des Großen hinterlistig gefallen ist. Dort werde ich voll Verwunderung von einer Gruppe Holländer angesprochen, die mit dem Auto unterwegs sind, sie können es einfach nicht fassen, dass man allein in so kurzer Zeit eine so weite Strecke zurück legen kann. Die Straße fällt nun einen Kilometer steil bergab, dann ereiche ich Roncesvalles, den ersten wichtigen Ort auf spanischem Boden, ein Kloster, eine Kirche, eine Pilgerkapelle und und ein Hospiz, es ist das erste Etappenziel der Fußpilger. Für mich bedeutet es heute gerade mal ein Viertel meiner heutigen Tagestour. Mein zweites Frühstück halte ich ein bisschen aus Verlegenheit, weil die Messefeier erst um 12 Uhr stattfindet. Im Pilgerbüro melde ich meine Ankunft, werde ganz offiziell begrüßt und in das große Buch eingetragen. Diese gute Einrichtung hatte ich im Vorjahr bereits beschrieben. Je öfter ein Pilger sich einträgt um so schneller kann er, wenn er gesucht wird, wieder gefunden werden.
Nach der Messe folge ich diesmal einer selbst gewählten Wegvariante hinunter durch das Valle de Arce in der Absicht, Pamplona wegen des San Firmin Festes zu umgehen, das ja in dieser Woche wieder gefeiert wird. Durch ein sehr anmutiges grünes Tal geht es in schneller Fahrt mehr als 25 km abwärts. Und gelange schon bald in die Pyrenäenausläufer, in eine trockene, abgeerntete Kulturlandschaft.
Etwas wehmütig denke ich bereits an die vergangenen kühleren Tage zurück, … aber ohne Regen? Nein danke, dann doch lieber diese noch angenehme Temperatur von ca. 30°C. Wieder mal ein Sonntag, ganz einsam und allein auf weiter Flur, während ganz Spanien jetzt am frühen Nachmittag seine Siesta hält. Warum soll ich das eigentlich nicht auch tun, frage ich mich, niemand treibt mich, und lege mich nach dem Essen ein Stündchen unter einen schattigen Baum. Erst am späten Nachmittag fahre ich auf schmalen verlassenen Wegen weiter und gelange über Campañas nach Eunate, meinem „Highlight“ vom vorigen Jahr.
Ich hatte beim Anblick dieser alten romanischen, oktogonförmigen Kapelle, erneut dieses Glücksgefühl, als ich die Kirche von Ferne erblicke. Gerade will ich meim Betreten des Gotteshauses in meinem Freudentaumel genau wie damals mein Salve Regina zu singen anfangen, da werde ich aber daran gehindert, weil ein alte Frau da vorne in der ersten Bank sitz und betet. Ich möchte sie nicht stören, hätte mich aber auch ein wenig geschämt. Also gehe ich wieder hinaus und verweile ein bisschen im Wandelgang, der von einer filigranen Säulenreihe eingeschlossen wird. Dann gehe ich wieder in die Kirche hinein, ….die Frau kniet immer noch da. Das Spiel wiederholt sich noch ein paar Mal, bis ich all meinen Mut zusammen nehme, und sie anspreche, – auf Spanisch versteht sich, – ob es ihr etwas ausmacht, wenn ich jetzt ein Salve Regina singe. Nein, nein ganz und gar nicht erwidert sie mir ehr erfreut, denn ich habe nicht den Eindruck, sie in ihrem Gebet versunken, gestört zu haben. Noch während ich wenig später ganz hinten meinen Anfangston suche, steht sie aus ihrer Bank auf, läuft eilig zu mir, stellt sich neben mich und singt mit mir gemeinsam dieses Lied. Nachher haben wir uns nur noch zugenickt und jeder ist stillschweigend seines Weges gegangen.
Im letzten Jahr hatte ich gar nicht gemerkt, dass das einzige Gebäude nebenan ein Herberge ist. Eine junge Frau sitz vor der Tür und bittet mich einzutreten. Sie fragt mich, ob ich heute Nacht hier bleiben wolle. Ich wäre wirklich gerne geblieben, aber mein Hunger war stärker, denn ich hatte nicht einmal ein Stück Brot zu essen dabei. So bin ich zur nächsten Herberge fünf Kilometer weiter nach Puente La Reina gekommen. Die Begebenheit von vorhin ist nun bereits Vergangenheit. Vielleicht, so denke ich bei mir, ist es auch besser so, dass ich einfach weitergefahren bin. So bleibt mir die Erinnerung an dieses Erlebnis viel deutlicher vor Augen.