Samstag 26.06.04
von Gavere nach Tortequesne
– Fahrzeit 7,5h – Wegstrecke 113km – Summe 113km – Temperatur 16-22°C
Das ganze Leben ist der Weg, das hatte ich mir diesmal zur Devise gemacht, und unter dem Aspekt hatte ich meine diesjährige Pilgerfahrt ausgerichtet. Meinen Leitgedanken werde ich unterwegs aus verschiedenen Blickwinkeln heraus betrachten. Die Abfahrt von zu Hause war ja schon am Donnerstag gewesen. Die Packtaschen fein säuberlich gepackt, dass ich im Schlaf bereits jedes einzelne Teil finden kann. Das Rad sauber und alles in Ordnung, ich selbst aufs Äußerste motiviert. An diesem Morgen, Punkt 8 Uhr war es dann auch endlich soweit, der große, lang ersehnte Augenblick war gekommen. Es hieß also Abschied nehmen von Ludgart, meiner Frau, von Abel dem Schwager, von Jan, dem Neffen, der hatte eine kleine Fotosession arrangiert, um den Start festzuhalten. Danke, mein Schatz, dass du mich hast ziehen lassen, aber in Gedanken nehme ich dich mit…..
Mit dem Gedanken steige ich aufs Rad und bin bald auch schon ganz alleine unterwegs nach
Santiago de Compostela. Ganz alleine auf dem Weg entlang der Schelde denke ich an ein altes Lied aus dem Mittelalter, erst Summe ich noch ganz leise vor mich hin doch wenig später fange ich an laut zu singen:
Ich var dohin wann es muss sein …..
Ich weiß ein langer, schier endloser Weg, liegt vor mir mit vielen Fragezeichen. Werde ich es körperlich schaffen? Werde ich unterwegs gesund bleiben? Werden meine Gelenke, Schulter, Knie, Hände, die Belastung aushalten? Werde ich immer den richtigen Weg finden und nicht zu viele Umwege fahren? Werde ich immer genug zu essen und zu trinken haben? Was für Leuten werde ich unterwegs begegnen?
Und plötzlich bekomme ich ein wenig Angst vor dem Alleinsein. Nun werde ich für eine lange Zeit ganz auf mich selbst angewiesen sein, muss für mich selbst sorgen; das heißt, unterwegs stets auf der Hut sein, dass ich nicht vom Weg abkomme, dass ich mit Bedacht die Verkehrssituation einschätze, also defensiv fahre, weil ich als Radler bei einer Kollision ohnehin nur sehr geringe Chancen habe. Immer sollte ich eine ausreichende Ration an Essen und Trinken dabei haben. Muss jeden Abend neu eine Bleibe finden, duschen die Kleider wechseln und die vom Tage waschen. Das ist also mein Tagesrhythmus für die nächste Zeit. Mit solchen Gedanken fahre ich zunächst entlang einem schönen Uferweg die Schelde aufwärts, beidseitig gesäumt von den typischen Pappelalleen. Hin und wieder begegnen mir Lastschiffe, die still vor sich hintuckernd, die Schelde auf oder abwärts von einer Schleuse zur nächsten flussaufwärts stampfen oder in leichterer Fahrt zu Tal fahren. Vorbei an Oudenarde mit dem schönen gotischen Rathaus auf dem betriebsamen Marktplatz und dem mächtigen, viereckigen Glockenturm, der von einem Schiefer bedeckten Turmhelm gekrönt wird.
Da, die erste Falle, ich bin auf einem „Holzweg“ gelandet, ein Kiesweg, weil ich die Flussseite nicht rechtzeitig gewechselt hatte. Dafür werde ich aber belohnt von einer herrlichen Blumenpracht am Wegrand und nach knapp drei km ist wieder ein sauber asphaltierter Weg erreicht, immer noch entlang der Schelde. Gegen 11:30 Uhr habe ich schon Doornijk (franz. Tournai) erreicht.
Heute ist Markt in der Stadt und ich muss mich mit meinem bepackten Rad durch das Menschengewühl Schlängeln. Mein Weg war mir bis hierher ja noch einigermaßen bekannt. Aber jetzt beginnt für mich nach knapp 5o km die Fremde….
In Orchies, schon in Frankreich, angekommen mache ich um 13 Uhr an der Kirche Rast und esse mein mitgebrachtes Mittagsbrot. Es schmeckt mir vortrefflich, denn ich habe einen ordentlichen Appetit. Hier hätte ich eigentlich mein geplantes Tagespensum (75 km) bereits erfüllt. Ich warte ein paar Regentropfen ab; ob es vielleicht noch mehr werden, fahre dann aber kurz entschlossen einfach weiter. Meine erste Tagesetappe ist in Tortequesne zu Ende, nachdem ich nach einigem Hin in Her keinen Gite fand, habe ich auf dem „camping municipal“ eine Bleibe für die Nacht gefunden; Hier mache ich die Erfahrung, dass sie immer preiswert und sauber sind.
Noch ein Gedanke beim Einschlafen: Jeder Weg auf dieser Welt und sei er auch noch so weit, beginnt mit dem ersten Schritt. Die ersten 5 % des Weges habe ich ja schon geschafft. Also nur noch 19 Mal dasselbe, bis ich ankomme, das heute erreicht zu haben, darauf bin ich schon recht stolz. Viel Regen kommt von oben, Abkühlung nach einem sehr schwülen Tag. Aber ich schlafe herrlich in meinem neuen 700 Gramm Daunenschlafsack von Our Planet.