Donnerstag – 17.07.2003
Mansilla de las Mulas – Astorga -noch 342 km bis Santiago
Wo ich gerade über Geld spreche, und das braucht man selbst für eine Pilgerfahrt, fällt mir dazu ein kleines Wortspiel ein: „Dat is ene Köbes“, (Köbes = Jakobspilger) sagt der Kölner und meint damit gemeinhin einen Ober. Hauptamtlich ist er das in der ursprünglichen Bedeutung nämlich gar nicht. Ein Pilger nimmt bei einem Kölner Gastwirt für eine gewisse Zeit eine Arbeit auf, und kann sich so etwas dazu zu verdienen, damit der inzwischen schon recht schmale Geldbeutel wieder gefüllt wird. Vielleicht aber auch nur, um beim Wirt seine Unterkunft oder Zeche bezahlen zu können. So kam es sicherlich zu diesem Ausdruck.
Heute, wie immer um sechs Uhr aus den Federn nach einer herrlich ausgeruhten Nacht. Wir sind immer noch in der Hochebene ça 800 m über NN ohne wesentliche Erhebungen, die mir keine Schwierigkeiten mehr bereiten. Wir kommen zügig voran und erreichen Leon in schneller Fahrt. Wir besichtigen die prächtige gotische Kathedrale, und sitzen danach in der Hauptgeschäftsstraße draußen im Schatten gemütlich bei einer Tasse „cafe con lece“.
Ehe wir die Stadt wieder verlassen machen wir noch eine kleine Sightseeingtour durch das Zentrum, vorbei an der Real Basilica San Isidoro und dem Hostal San Marcos. Auf dem kürzlich neu gestalteten Platz verweilen wir noch eine Zeit und betrachten den Parador, (ursprünglich ja auch ein Pilgerhaus, heute eine Nobelherberge) der mit einer prächtigen plateresken Fassade ausgestattet ist.
Ab Leon wollen wir etwas mehr auf Nebenwegen weiterradeln. Marcel kennt da eine Strecke die abseits der großen Straße durch eine schönere Landschaft und durch kleine beschauliche Dörfer führt.
Leider kommt es beim Verlassen der Stadt zu einem Missverständnis zwischen Marcel und dem Rest der Truppe. Marcel, er radelt vorneweg und hat deshalb unseren Stopp an einem Mercado nicht bemerkt.Wütend kommt er zurück und meint, dass so etwas doch vorher gesagt werden muss. Und im Übrigen fahre ich jetzt alleine weiter ruft er uns zu und ist auf und davon.
Ein paar Kilometer weiter machen wir später in Santovenia, nun nur noch zu viert, Mittagsrast; mitten im Dorf unter schattigen Pinien. Wir Vier sind etwas wortkarg, weil nun Marcel fehlt. Fertig zum Weiterfahren, ruft Hans uns zu und schon ist er hinter der nächsten Kurve verschwunden. Auch Udo und Valentin folgen ihm, letzterer schaut sich noch einmal nach mir um, während ich noch meine sieben Sachen zusammenschnüre. „Gaat maar“, rufe ich ihnen hinterher, „ik zal wel mijnen plan trekken“. (fahrt mal, ich finde mich schon alleine zurecht) Und so sind die drei auf und davon, während ich noch meinen „Ranzen schnüre“. In Vilar de Marsarife auf dem Marktplatz warten sie später dann doch auf mich. Mein Vorschlag, den Weg etwas abkürzen zu können, findet kein Verständnis. Und so biege ich an einem Wegkreuz ab, und fahre alleine weiter.
Alleine nun, aus mehreren Gründen. Erst einmal macht mir die Trennung von Marcel zu schaffen, ich mag es nicht wenn man sich streitet, man hätte auch vernünftig miteinander reden können. Außerdem gefällt es mir nicht, dass von der immer streng nach Plan vorgeschriebenen Fahrtroute niemals abgewichen wird. Schließlich hatte ich mir die ganze Tour etwas beschaulicher vorgestellt, denn aus meiner Sicht droht das Ganze schon in Raserei auszuarten, um nur ja und bedingungslos das Tagespensum zu erfüllen. Kaum bleibt noch Zeit für ein Foto, geschweige denn, eine Pause für eine Besichtigung. Deshalb also habe ich mich von dem Trupp getrennt. Nun auf einmal bin wieder ganz alleine für mich, fast tut mir meine Entscheidung schon leid, denn an jedem Wegkreuz muss ich selbst entscheiden, wohin es weiter gehen soll.
Dabei kommt mir wieder in den Sinn, ….die wirklich großen Wege macht man ganz alleine. In Hospital de Orbigo bin ich sicher, dass ich ein gehöriges Stück des Weges abgekürzt habe; ich treffe die Gruppe der MTB-Fahrer von vorgestern wieder, die den direkten sehr steinigen und staubigen camino fahren. Ich dagegen hatte die kleine, komfortable Landstraße durch die idyllischen Dörfer gewählt und erreiche schließlich die grand carretera nach Astorga wieder. An dieser Straßenkreuzung im Schatten eines Busunterstandes mache ich halt.
Eine Zwangspause, weil irgendetwas an meinem Rad klappert. Je früher ein Defekt behoben wird, um so geringer ist der Schaden, die Erfahrung habe ich schon öfter gemacht. Also nehme ich das ganze Gepäck herunter und ziehe sämtliche Schrauben eine nach der anderen an, kontroliere danach auch noch die Bremsen und die Schaltung. Die Kette könnte etwas Fett gebrauchen aber sonst scheint alles in Ordnung zu sein. Ich montiere mein Gepäck wieder eine kleine Probefahrt und …. kein Klappern mehr, es hat geholfen, alles ist wieder OK.
Nach dieser Inspektions-, Trink-, und Verschnaufpause sind nun auch Hans und kurz darauf Valentin und Udo angekommen sie halten kurz an, fahren aber dann bald wieder weiter. Ich lasse sie einfach weiter ziehen. Wahrscheinlich werden sie viel eher am Ziel angekommen als ich.
Eine kurze Zeit später, immer noch an der Bushaltestelle, halten zwei junge Frauen bei mir an. Sie kommen aus Deutschland, einem Ort in der Eifel, den Namen habe ich leider vergessen. Froh darüber, endlich wieder mal deutsch zu hören, erzählen wir uns gegenseitig vom Woher und Wohin. Sie sind, einen Tag eher als ich, gleichfalls in Saint Jean Pied de Port gestartet. „Ich heiße Barbara, und ich bin Resi“, stellen sich die beiden vor, „Aber ich finde meinen Namen nicht so gut“, sagt Resi mir ganz freizügig, “ weil es ein typischer Name für eine Kuh ist.“ Ihre selbstkritische Beurteilung finde ich mutig, weil sie sich über ihren eigenen Namen mokiert, es zeugt aber dennoch von einem starken Selbstwertgefühl des Mädchens, so denke ich bei mir. Später erfuhr ich von ihr, dass sie Theresia heißt. Im Übrigen sind die beiden recht heiter und unterhaltsam aber, wie mir scheint, auch interessiert für alles, was ich aus meiner Sicht über camino zu weiß. Die Zwei haben in diesem Jahr Abitur gemacht und wollten, bevor sich ihre beruflichen Wege nun endgültig trennen noch einmal etwas gemeinsam erleben. Sie fragen mich nach dem Weg und nach dem Weiterkommen, wenn sie Santiago erreicht haben. Zusammen fahren wir recht kurzweilig und unterhaltsam ein Stück des Weges. Ich verliere die beiden jedoch aus den Augen, weil ich ein klein wenig schneller bin. Am Abend in Astorga, meine Freude ist groß, treffen wir uns wieder in der gleichen Herberge. Sie Laden mich zu ihrem Nudelrestessen ein, und nachher bereite ich aus meinem bescheidenen Vorrat noch einen Tee, den wir zusammen genießen.
Die Herberge ist die schönste und sauberste, die ich bisher auf dem ganzen Weg angetroffen habe. Küche, Toiletten, Duschen, alles sauber wie geleckt; die Tische und Stühle im Hof, laden zum Verweilen und zum Unterhalten ein, in der Mitte ein Feigenbaum mit reifen Früchten. Außerdem gibt es eine Waschmaschine und eine Schleuder sowie Handwaschbecken und Leinen zu Trocknen, alles vom Feinsten. Die große Küche ist gleichzeitig ein Gemeinschaftsraum, abgetreppt um einen offenen Kamin kann mann gemütlich sitzen und hat Gelegenheit zu gemeinsamen Gesprächen, zum Musizieren und Spielen.
Am Abend mache ich noch einen kleinen Spaziergang durch das Zentrum von Astorga eine schöne gotische Kathedrale und daneben der etwas futuristische Bau des Bischofspalastes, der als solcher nie benutzt wurde und heute das Museo de los Caminos beherbergt. Das Bauwerk, eine Mischung aus Kirche und Schloss, wurde nach einem Plan des Architekten Antonio Gaudi erstellt. Auf meinem Rundgang treffe ich ganz zufällig noch einmal auf Marcel. Ich erfahre von ihm, dass alle nun wieder beisammen sind und sie gemeinsam in einem Hotel übernachten. Er fragt mich, ob ich nicht doch noch zu ihnen kommen wolle, aber ich winke ab. Um kurz vor zehn bin ich zurück in meinem Albergue de Peregrinos de San Xavier, um nicht befürchten zu müssen, dass ich nachher vor verschlossenem Tor stehe.