Sonntag – 20.07.2003
von O Cebreiro nach Portomarin – noch 157 km bis Santiago,
davon 10 km Irrfahrt im Nebel
Nie Nacht auf dem harten Küchenboden war sehr unruhig, immer wieder werde ich wach mit dem Gedanken: Die wirklich wichtigen Wege im Leben macht man allein, und entschließe mich unversehens aufzustehen und ab heute wieder solo weiter zu pilgern. Einmal, weil ich fühle, dass ich Barbara und Resi stören könnte und zum anderen, weil ich meine, dass es für meinen Pilgerweg erfahrungsreicher sei. Auch schäme ich mich ein wenig dafür, dass ich den beiden gestern am Cruz meine innersten Gefühle so offen anvertraut habe. Also stehe ich rasch auf, packe meine Sachen und verabschiede mich kurzerhand von ihnen, die schauen zwar ganz verwundert drein, rufen mir noch nach: „Warte doch, bis wir gefrühstückt haben“, doch ich antworte nur noch: „Es ist vielleicht besser so für euch und für mich, vielleicht sehen wir uns ja noch einmal wieder“ und bin auch schon hinter der nächsten Kurve verschwunden.
Die Situation, es ist Sieben Uhr am Morgen, dichter Nebel, das Thermometer zeigt 9° Celsius . Ich habe alles, was mich wärmen kann, angezogen: lange Hose, T-Shirt, Pullover, Regenjacke mit Kapuze unter dem Helm, denn es geht erst mal ein Stück bergab. …. aber doch keine 400 Meter tiefer? Denn mein Fahrplan sagt mir etwas Anderes. Tief unten in einem Tal gelange ich in ein kleines Dorf, aber da ist am frühen Sonntagmorgen noch keiner wach, und ich sehe niemand, den ich nach dem richtigen Weg fragen könnte. Auch finde ich als Wegweiser weder die gelben Pfeile noch die gelben Pilgermuscheln, die sonst auf Schritt und Tritt unübersehbar den Weg weisen. Ein paar Hunde bellen mich an und laufen ein Stück hinter mir her. Aus Angst, ich könnte von ihnen angefallen werden, nehme ich so schnell wie möglich Reißaus und sehe, dass ich mich schleunigst aus dem Staube mache. An einem Abzweig nehme ich sicherheitshalber meinen Kompass zu Hilfe und entscheide mich für die Straße, die in die die nordwestliche Richtung führt. Um ganz sicher zu gehen, halte ich etwas später dann doch einen Autofahrer an. Der bestätigt mir, dass ich mich zwar richtig orientiert habe, jedoch erfahre ich von ihm, dass ich einen ziemlichen Umweg gewählt hätte. Als ich schließlich wieder auf die rechten Weg gelange, ist mehr als eine Stunde vergangen. Ich bin 10 km umsonst gefahren, das zwar nicht die Welt, wenn da nicht die 400 Höhenmeter wären die es wieder zu erklimmen galt. Das war also mein morgendlicher Ausreißversuch, bei dem ich mich gleich zu Beginn im Nebel verfahren hatte. Außerdem bin ich recht hungrig und durstig, denn ich habe ja noch nicht gefrühstückt.
Nun fahre ich vorbei an Linares, das steht wieder auf meinem Fahrplan und erreiche den Alto de Poyo (1337 m). In dem Gasthaus oben am Pass gönne ich mir ein Bocadillo mit Käse und einen heißen Kakao. Höher hinauf wird es auf dem ganzen Camino nun nicht mehr gehen, und ich freue mich schon auf eine lange aber recht frische Abfahrt.
Die kurvenreiche Straße führt talwärts, ich durchfahre Triacastela, und weiter geht es durch das schöne grüne Tal des Rio Ouribio, wo ich beim Kloster Samos ankomme. Das prächtige Benediktinerkloster, eines der ältesten Spaniens, aus dem 6.Jahrhundert, jedoch ist die Kirche im Renaissancestil im 17. Jahrhundert neu erstellt worden. Mir persönlich gefällt dieser wuchtige Baustil der Kirche nicht, er passt so gar nicht in diese Landschaft. Das Gebäude mit den Klosterzellen stammt aber noch aus viel älterer Zeit. Von Samos aus geht es weiter nach Sarria. Gegenüber einer kleinen Kapelle, die Sonntagsmesse ist gerade zu Ende, trinke ich eilig meinen Kaffee aus, weil ich nicht der Menschenmenge begegnen möchte, die aus der Kirchen geradewegs herüber zu mir in die Bar strömt. Nun muss ich das so liebliche Tal wieder verlassen, denn der Weg führt mich hinauf auf einen Bergrücken. Alles ist so still und in sonntäglicher Stimmung sonnig, ruhig und friedvoll in dieser ländlichen anmutigen Gegend. Im Vorbeifahren erfreue ich mich an einem Busch blühender Heide, an einem Blumenteppich mit vielen kleinen sternförmigen gelben Blüten am Straßenrand Wegbegleiter meiner Einsamkeit. Dieses Wildkraut wächst überall, aber wie könnte es auch anders sein, es ist das Jakobs-Kreuzkraut, so habe ich es später nachgelesen.
An einem Pilgermuschel-Brunnen lege ich eine Rast ein. Ich esse und trinke und ruhe mich aus. Während ich so da sitze holen mich einmal wieder Birgitta und Jürgen ein, die fahren aber nach einem kurzen Erfrischungstrunk weiter und wenig später kommen auch Barbara und Resi vorbei. Mit Ihnen zusammen bringe ich dann auch die heutige Etappe zu Ende.
Die Herberge in Portomarin ist schon bis auf den letzten Platz belegt und wir müssen wieder mit dem Boden in der Sporthalle mitten im Ort vorlieb nehmen. Zum Glück können wir die Annehmlichkeiten der Herberge nutzen, Küche und Toilettenanlage Portomarin ist neueren Datums, etwa aus den Jahren um 1960, denn die alte Stadt ist dem benachbarten Stausee des Rio Mino zum Opfergefallen. Bis auf die schöne, wehrhafte Kirche, die wurde Stück für Stück abgebaut, jeder Stein einzeln nummeriert und mitten im neuen Zentrum wieder aufgebaut. Irgendwie passen alt und neu dann doch ganz gut zusammen. Am Abend spät dann ein Pilgeressen in einem Gasthaus am Ende der Hauptstrasse unter den Arkaden.